Warum reden wir über Intelligenz und Konflikte in der Führungsarbeit?
Oft denken wir: „Wenn jemand schlau und findig ist, kann er alle Probleme im Handumdrehen lösen.“ Doch so einfach ist es nicht. Selbst richtig clevere Menschen geraten in Streit oder verstehen sich mit anderen nicht. Wie kommt das? Und warum hilft Intelligenz meist viel weniger, als wir denken? Das liegt an den drei Überzeugungssystemen des Denkens.
Als Führungskraft oder Team-Leiterin erlebst du vielleicht genau das: Hochbegabte Kolleginnen diskutieren endlos oder finden keine gemeinsame Linie. [ Mehr dazu auch in diesem Beitrag ] In diesem Artikel schauen wir uns an, wie dein Team trotz unterschiedlicher Denkweisen harmonisch zusammenarbeiten kann. Dazu betrachten wir das Konfliktpotential der drei Überzeugungssysteme in denen Menschen denken.
Intelligenz und Findigkeit: Was ist das eigentlich?
- Intelligenz bedeutet, wie schnell und gut jemand Dinge begreift oder Zusammenhänge erkennt.
- Findigkeit heißt, dass jemand auf kreative Ideen kommt oder ungewöhnliche Lösungswege findet.
Beides klingt super, oder? Intelligente und findige Menschen sollten dann doch (gemeinsam) alle Probleme lösen können. Trotzdem entstehen Konflikte, wenn Menschen mit viel Wissen und Kreativität – aber ganz verschiedenen Methoden – aufeinandertreffen. Beispielsweise kann eine Person viel Theorie kennen, während eine andere lieber direkt ausprobiert, was funktioniert. Wenn diese Ansätze kollidieren, sind Spannungen vorprogrammiert.
Unterschiedliche Denkansätze: Wo kann es krachen?
Stell dir vor, du willst einen Kuchen backen.
- Person A: „Ich berechne genau das Mischverhältnis von Mehl, Butter und Zucker.“
- Person B: „Ich mache es nach Gefühl und ändere etwas, wenn es nicht klappt.“
Beide wollen das Gleiche (einen leckeren Kuchen), aber verfolgen ganz andere Wege. Am Arbeitsplatz oder einem Sportteam führt das Gleichmaßen zu Konflikten, wenn niemand das Vorgehen des anderen respektiert.
Drei Überzeugungssysteme: Wie Menschen über Wissen denken
Die Aufteilung in absolutistische, multiplistische und evaluativistische Sichtweisen geht auf Entwicklungspsychologen wie William G. Perry (1970) zurück, der sich mit der intellektuellen Entwicklung von Studierenden beschäftigt hat. Auch andere Forschende in der Bildungs- und Lernpsychologie haben ähnliche Modelle vorgestellt. Die Idee dahinter: Menschen haben unterschiedliche Auffassungen darüber, wie „Wissen“ und „Wahrheit“ funktionieren. Das klingt kompliziert, ist aber recht anschaulich:
1. Absolutistisch
- Grundannahme: Wissen ist fest und unveränderlich – es gibt „richtig“ oder „falsch“.
- Beispiel: Ein Tennistrainer sagt: „Nur diese eine Aufschlagtechnik ist richtig.“ Er kann Schwierigkeiten haben, neue Methoden zuzulassen.
- Konflikt-Risiko: Wenn jemand im Team eine andere Idee hat, trifft er auf völlige Ablehnung, weil der absolutistische Mensch nur eine Wahrheit akzeptiert.
2. Multiplistisch
- Grundannahme: Jede Meinung ist subjektiv und gleichwertig. „Es gibt kein echtes Richtig oder Falsch, sondern nur Ansichten.“
- Beispiel: Ein friedliches Team, in dem alle Meinungen „richtig“ sind. Doch wenn wichtige Entscheidungen anstehen, fehlt manchmal eine klare Richtung.
- Konflikt-Risiko: Es kann schnell chaotisch werden, wenn niemand sich traut zu sagen, „So machen wir es jetzt“, da alles immer „gleich gut“ scheint.
3. Evaluativistisch
- Grundannahme: Wissen ist vorläufig und kann sich ständig ändern, wenn neue Erkenntnisse kommen.
- Beispiel: Ein Basketballcoach ändert ständig die Trainingsmethoden und wertet Videoanalysen aus, um das Team zu verbessern. Das kann aber zu Überforderung führen, wenn manche Spieler feste Strukturen brauchen.
- Konflikt-Risiko: Ständige Neuerungen sorgen für Stress bei Teammitgliedern, die lieber klare Routinen und Vorgaben haben.
Hintergrund
Diese drei Sichtweisen – „absolutistisch“, „multiplistisch“ und „evaluativistisch“ – beruhen auf Erkenntnissen der Entwicklungs- und Lernpsychologie. William G. Perrys Modell (1970) beschreibt, wie Studierende verschiedene Stufen des Denkens und Bewertens von Wissen durchlaufen. In ähnlicher Weise spricht man in anderen Theorien (z. B. im Kontext des „Reflektierenden Urteilens“ nach Kitchener und King) davon, dass Menschen lernen, Komplexität zuzulassen. Hier schließt sich der Kreis zur Ambiguitätstoleranz, wie sie im Artikel 3 unserer Serie beschrieben wurde: Wer verschiedene Ideen oder Wahrheiten akzeptieren kann, zeigt eine höhere Toleranz gegenüber Mehrdeutigkeit – und kommt so oft besser mit Veränderungen und Unklarheiten zurecht.
Warum bringen Überzeugungssysteme Konflikte mit sich?
- Verschiedene Lernmethoden: Theorie-Fans vs. Praxis-Fans: Beide denken, sie hätten den besten Ansatz.
- Unterschiedliche Erwartungen: Absolutistische Menschen suchen eindeutige Regeln; evaluativistische Menschen wollen alles immer wieder neu überprüfen.
- Fehlende Entscheidungen: Multiplistische Haltungen können zu Unklarheiten führen, weil niemand sich traut, eine finale Anweisung zu geben.
Gerade als Führungskraft musst du erkennen, ob sich das Team in endlose Diskussionen verstrickt oder ob jemand stur auf „eine Wahrheit“ beharrt.
Wie kannst du das in der Führungsarbeit nutzen?
Erkenne das Überzeugungssystem
Versuche zu verstehen, welche Ansicht über „Wissen“ und „Wahrheit“ die Teammitglieder haben. Agieren sie eher absolutistisch, multiplistisch oder evaluativistisch?
Erkläre die Unterschiede
Mach deutlich, dass jede Sichtweise Vor- und Nachteile mit sich bringt. Vielleicht haben absolutistische Menschen eine klare Struktur, während evaluativistische offen für Neues sind. Bei multiplistischen Denkern musst du darauf achten, dass sie nicht davor zurückschrecken, Entscheidungen zu treffen.
Kombiniere Stärken
Bring die Menschen gezielt zusammen:
- Absolutistische können Stabilität geben,
- Multiplistische können Harmonie fördern,
- Evaluativistische bringen Innovation.
Das Team profitiert, wenn alle wissen, dass keine Sichtweise grundsätzlich „besser“ oder „schlechter“ ist.
Triff Entscheidungen
Am Ende brauchst du als Führungskraft oft klare Vorgehensweisen. Wenn sich das Team bei zu vielen Möglichkeiten verliert, hilf dabei, einen Weg auszuwählen, damit ihr nicht im „Wissens-Chaos“ stecken bleibt.
Fazit
Intelligenz und Findigkeit allein reichen nicht, wenn unterschiedliche Auffassungen von Wissen und Wahrheit aufeinandertreffen. Die drei Überzeugungssysteme – absolutistisch, multiplistisch und evaluativistisch – zeigen, warum kluge Köpfe sich manchmal in Konflikten verfangen: Jeder glaubt, sein Denkansatz sei der richtige. Als Führungskraft kannst du diese Dynamik entschärfen, indem du die verschiedenen Sichtweisen erkennst, sie wertschätzt und sie konstruktiv für gemeinsame Ziele einsetzt. So verwandelt sich potenzieller Streit in eine fruchtbare Zusammenarbeit, in der Kreativität und klare Struktur ein produktives Gleichgewicht finden.