Wenn Charaktere ins Spiel kommen, ist das Profiling nicht weit. In der Coachinglandschaft tummeln sich eine Menge Profiling-Tools. Diese haben aber zumeist einen elementaren Nachteil: Schubladendenken. Und das können wir bei Konflikten gar nicht gebrauchen. Deshalb stelle ich dir in diesem Artikel der Reihe zu Konflikten das Big-Five-Modell vor, um zu erklären, warum Charaktereigenschaften zu Konflikten führen können.
Zwischen Schubladendenken und differenziertem Profiling
Menschen lieben einfache Kategorien – besonders, wenn es um Persönlichkeit geht. Vom Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI), der dich in eine von 16 Persönlichkeitsvarianten steckt, über den DISC-Test, der auf vier Grundtypen setzt, bis hin zu populären Modellen wie den vier Temperamenten (Choleriker, Melancholiker, Sanguiniker, Phlegmatiker): Solche Ansätze versprechen einfache Antworten auf komplexe Fragen. Doch genau darin liegt ihre Schwäche.
Das Problem? Trivialisierung.
Indem Menschen auf wenige Typen reduziert werden, geraten wichtige Nuancen aus dem Blick. Nicht jede extrovertierte Person ist gleich, und nicht jeder „gelbe Typ“ aus dem DISC-Test verhält sich identisch. Solche Modelle neigen dazu, die Vielfalt menschlicher Persönlichkeit zugunsten griffiger Kategorien zu opfern. Das macht sie eingängig – aber auch problematisch. Wer so profiliert, riskiert, die einzigartigen Stärken und Herausforderungen jedes Einzelnen zu übersehen.
Warum das Big-Five-Modell eine Alternative sein kann
Das Big-Five-Modell hebt sich von diesen vereinfachenden Ansätzen ab, weil es Persönlichkeit nicht als starre Typologie versteht, sondern als ein Kontinuum aus fünf Dimensionen: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Jede dieser Eigenschaften ist nicht „da oder nicht da“, sondern unterschiedlich stark ausgeprägt – und erlaubt so eine differenzierte Betrachtung.
Die Vorteile des Big-Five-Modells:
- Flexibilität statt Schubladen: Es gibt keine festen Typen, sondern ein Spektrum. Jeder Mensch kann irgendwo zwischen den Extremen einer Dimension liegen.
- Wissenschaftliche Fundierung: Anders als viele populäre Profiling-Methoden basiert das Modell auf umfangreichen psychologischen Studien und hat sich als reliabel und valide erwiesen.
- Dynamische Anwendung: Die Dimensionen bieten Raum für Entwicklung. Du kannst introvertiert sein, aber lernen, dich in sozialen Situationen wohler zu fühlen.
Trotz seiner Stärken ist auch das Big-Five-Modell keine perfekte Lösung. Es bietet keine Antworten darauf, warumPersönlichkeitsmerkmale entstehen, und es ignoriert kontextuelle Faktoren. Außerdem kann auch ein differenziertes Profiling dazu führen, dass Menschen sich auf ihre „Werte“ reduzieren lassen und das Gesamtbild aus den Augen verlieren.
Die Balance zwischen Klarheit und Komplexität
Die Stärke des Big-Five-Modells liegt in seiner differenzierten Betrachtung von Persönlichkeit – weit weg von der Trivialisierung vieler anderer Ansätze. Doch wie bei jedem Profiling-Tool gilt: Es ist ein Werkzeug, kein Urteil. Wer Menschen wirklich verstehen will, muss hinter die Zahlen und Werte schauen, sie im Kontext betrachten und erkennen, dass Persönlichkeit immer mehr ist als die Summe ihrer Teile.
Da es den Menschen in seiner Komplexität noch am nächsten kommt, möchte ich es in diesem Artikel nutzen, um über Charaktereigenschaften als Konflikt-Ursache zu schreiben.. So vermeiden wir, dass es am Ende heißt: „Du bist ein A und du ein B, dass muss ja schief gehen.“ Dem ist nämlich nicht so. Vielmehr geht es bei allen Konflikten nur um die Erfüllung der immer gleichen Bedürfnisse. Diese Äußern sich je nach Ausprägung von Charaktereigenschaften (Dimensionen) aber unterschiedlich.
Die fünf zentralen Dimensionen werden meist als OCEAN abgekürzt:
- Openness (Offenheit für Erfahrungen)
- Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit)
- Extraversion (Extraversion)
- Agreeableness (Verträglichkeit)
- Neuroticism (Neurotizismus)
Jede Dimension kann ausgeprägt, mittel oder schwach entwickelt sein. Wo sehr verschiedene Menschen im Team zusammenarbeiten, kann das schnell zu Spannungen führen.
Openness (Offenheit für Erfahrungen)
Was ist Offenheit?
Menschen mit hoher Offenheit sind neugierig, kreativ und bereit, neue Dinge auszuprobieren. Sie schätzen Vielfalt und sehen in Veränderungen Chancen. Das macht sie zu innovativen Problemlöser*innen, die alte Denkmuster hinterfragen und kreative Ansätze entwickeln. Diese Experimentierfreude kann jedoch auch dazu führen, dass sie sich in zu vielen Ideen verlieren oder Risiken eingehen, ohne die Konsequenzen ausreichend zu bedenken. Zudem fällt es ihnen schwer, sich mit monotonen oder stark reglementierten Aufgaben abzufinden.
Auf der anderen Seite stehen Personen mit niedriger Offenheit, die an Traditionen festhalten und bewährte Methoden bevorzugen. Sie schaffen Stabilität und sorgen dafür, dass nicht jede Neuerung unüberlegt eingeführt wird. Doch ihre Abwehrhaltung gegenüber Veränderungen kann auch Innovationen blockieren und sie unflexibel erscheinen lassen. Sie könnten alternative Ansätze vorschnell ablehnen und sich in bekannten Mustern verlieren.
Typisches Konfliktpotenzial
- Ein hoch offener Teamkollege sagt: „Lass uns etwas komplett Neues ausprobieren!“
- Ein traditioneller Typ antwortet: „Das ist riskant! Unser alter Ansatz funktioniert doch.“
Hier prallen Innovationslust und Sicherheitsbedürfnis aufeinander. Die eine Seite empfindet die andere als Blockade, die andere wiederum hält den Innovationsdrang für zu waghalsig oder unnötig.
Tipps für Führungskräfte
- Experimentierfelder schaffen, in denen die offenen Menschen Neues testen können, ohne direkt den gesamten Prozess umzukrempeln.
- Traditionen respektieren und deutlich machen, dass Bewährtes durchaus seinen Wert hat – den man nicht leichtfertig aufgeben sollte.
- Ein Sicherheitsnetz etablieren, wenn Neues ausprobiert wird, um den weniger offenen Teammitgliedern die Angst vor zu viel Chaos zu nehmen.
Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit)
Was ist Gewissenhaftigkeit?
Eine hohe Gewissenhaftigkeit zeichnet sich durch Zielstrebigkeit, Organisation und eine zuverlässige Arbeitsweise aus. Menschen mit dieser Eigenschaft planen sorgfältig, achten auf Details und halten sich konsequent an Absprachen. Sie sorgen dafür, dass Projekte termingerecht und präzise umgesetzt werden. Doch ihr starker Drang nach Perfektion und Kontrolle kann sie auch dazu bringen, sich in Kleinigkeiten zu verlieren. Spontane Änderungen oder unvorhergesehene Ereignisse können sie überfordern, da sie lieber an festen Strukturen festhalten.
Weniger gewissenhafte Menschen sind spontaner und flexibler. Sie fühlen sich wohl in dynamischen Umfeldern und gehen unvoreingenommen an Aufgaben heran. Ihre Ungezwungenheit kann jedoch auch dazu führen, dass sie weniger organisiert wirken oder Fristen nicht einhalten. Oft fehlt es ihnen an langfristiger Zielorientierung, was sie im Vergleich zu ihren gewissenhafteren Kolleg*innen als unzuverlässig erscheinen lassen kann.
Typisches Konfliktpotenzial
- Der hoch gewissenhafte Typ: „Warum hältst du dich nicht an unsere genau festgelegten Absprachen?“
- Die spontanere Person: „Du bist viel zu pedantisch. Lass uns doch erstmal schauen, was passiert.“
Die gewissenhafte Seite wirkt aus Sicht der „lockeren“ Typen starr und penibel, während umgekehrt die Lockerheit leicht als Chaotentum oder Unzuverlässigkeit empfunden wird.
Tipps für Führungskräfte
- Rollen passend verteilen: Hoch gewissenhafte Personen finden sich gut in Aufgaben, die Struktur, Verlässlichkeit und Genauigkeit erfordern (z. B. Projektplanung).
- Spielräume klarmachen: Bestimme Felder, in denen Kreativität und Flexibilität erlaubt oder sogar erwünscht sind, und andere, in denen man sich an feste Regeln halten muss.
- Wechselseitiges Verständnis fördern: Zeige, dass Ordnung und Pünktlichkeit nicht „übertrieben“ sind, sondern Effizienz und Verlässlichkeit stützen. Umgekehrt betone, dass Spontanität auch Vorteile hat, etwa in Notfallsituationen oder in der Kreativität.
Extraversion (Extraversion)
Was ist Extraversion?
Extraversierte Menschen sind kontaktfreudig, energiegeladen und lieben es, im Mittelpunkt zu stehen. Sie bringen Schwung in Gruppen, sind oft charismatische Anführer*innen und schaffen durch ihre Begeisterungsfähigkeit eine positive Stimmung. Diese Eigenschaften können jedoch dazu führen, dass sie zu dominant auftreten und andere übergehen. Zudem handeln sie manchmal impulsiv und könnten dadurch wichtige Details oder Konsequenzen übersehen.
Introvertierte Personen hingegen bevorzugen ruhigere Umfelder und schöpfen Energie aus stillen Momenten. Sie denken gründlich nach, bevor sie handeln, und lassen anderen gern den Vortritt. Ihre Zurückhaltung kann jedoch dazu führen, dass sie in Gruppen übersehen werden oder ihre Meinungen nicht klar äußern. Dadurch wirken sie möglicherweise weniger engagiert, obwohl sie im Hintergrund oft wertvolle Beiträge leisten.
Typisches Konfliktpotenzial
- Extrovertierte halten Introvertierte für unengagiert oder langweilig, wenn sie sich nicht ständig einbringen.
- Introvertierte finden Extrovertierte aufdringlich, weil sie andauernd sprechen, anfeuern oder Aufmerksamkeit wollen. Außerdem haben sie Typ-bedingt oft wenig Erfahrung darin sich Respekt für die persönlichen Bedürfnisse zu verschaffen, was zu Frust führen kann.
Gerade im Team zeigt sich das stark: laute Diskussionen vs. stille Denker*innen. Ohne klare Moderation bleiben die Leiseren oft ungehört, was wiederum zu Frust führt.
Tipps für Führungskräfte
- Runden so gestalten, dass alle zu Wort kommen, z. B. in Kleingruppen arbeiten lassen, dann Ergebnisse zusammenführen.
- Introvertierten Raum geben: nicht jeden spontanen Einwurf fordern, sondern Vorbereitungszeit ermöglichen. Und du solltest nie vergessen, dass Introvertierte den selben Bedarf nach Wertschätzung wie Extrovertierte haben.
- Extrovertierte bremsen, wenn sie Gespräche dominieren, und wertschätzen sie für ihre Motivationskraft. Introvertierte sollten als wertvolle Problemlöser*innen anerkannt werden.
Agreeableness (Verträglichkeit)
Was ist Verträglichkeit?
Eine hohe Verträglichkeit zeigt sich in Freundlichkeit, Kooperationsbereitschaft und einem starken Harmoniebedürfnis. Menschen mit dieser Eigenschaft fördern den Zusammenhalt und schaffen eine angenehme Arbeitsatmosphäre. Sie sind empathisch und achten darauf, dass sich alle wohlfühlen. Doch ihre Konfliktscheu und ihr starker Wunsch nach Harmonie können dazu führen, dass sie Probleme vermeiden oder eigene Bedürfnisse zurückstellen. Sie laufen Gefahr, manipulierbar zu sein oder wichtige Entscheidungen zugunsten des Friedens zu vermeiden.
Weniger verträgliche Menschen sind direkter und durchsetzungsstärker. Sie scheuen sich nicht, unangenehme Themen anzusprechen oder ihre Meinung klar zu vertreten. Diese Entschlossenheit kann jedoch schnell als Ruppigkeit wahrgenommen werden, besonders wenn sie wenig Rücksicht auf die Gefühle anderer nehmen. Ihr konkurrenzorientierter Stil kann das Team spalten, anstatt es zu vereinen. Sie sind eher selten „geborenen Anführer“.
Typisches Konfliktpotenzial
- Der sehr verträgliche Typ: „Können wir uns bitte alle vertragen und Kompromisse finden?“
- Der weniger verträgliche Typ: „Wir brauchen deutliche Worte und Durchsetzungsstärke; dieses Kumbaya-Getue bringt uns nicht weiter!“
Ein Team aus lauter Harmoniemenschen kann wichtige Kritik unterdrücken. Ein Team mit stark durchsetzungsfreudigen Köpfen kämpft hingegen ständig um Rangordnungen.
Tipps für Führungskräfte
- Rollenklarheit: Setze ruhigere, verträglichere Personen ins Projektmanagement, wenn es um Vermittlung geht; setze den „Härtefall“ auf toughere Verhandlungsaufgaben, wo direkter Ton gefragt ist.
- Konstruktiver Streit: Stelle Regeln auf, dass sachliche Kritik erwünscht ist, persönliche Angriffe aber tabu.
- Moderation: Hilf Verträglichen zu erkennen, dass Meinungsverschiedenheiten nicht negativ sein müssen, und den Konfliktfreudigen, dass Harmonie kein Zeichen von Schwäche ist.
Neuroticism (Neurotizismus)
Was ist Neurotizismus?
Menschen mit hohem Neurotizismus sind emotional sensibel und nehmen Stimmungen in ihrer Umgebung sehr genau wahr. Diese Empfindsamkeit ermöglicht es ihnen, früh auf mögliche Risiken oder Probleme hinzuweisen, und sie reflektieren ihre eigenen Gefühle oft intensiv. Doch diese Emotionalität macht sie anfällig für Stress und sorgt dafür, dass sie sich schnell Sorgen machen oder sich von Kritik verunsichern lassen. Stimmungsschwankungen und Grübeleien können ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.
Niedrig neurotische Personen zeichnen sich durch emotionale Stabilität und Gelassenheit aus. Sie bleiben auch in herausfordernden Situationen ruhig und bieten anderen durch ihre ausgeglichene Art Sicherheit. Allerdings kann ihre Gelassenheit dazu führen, dass sie subtile Probleme oder Spannungen übersehen. Zudem wirken sie auf emotionalere Kolleg*innen manchmal kalt oder distanziert.
Typisches Konfliktpotenzial
- Hoher Neurotizismus: „Ihr kritisiert mich ständig – das setzt mir zu!“ (obwohl es nur sachliches Feedback war)
- Niedriger Neurotizismus: „Wieso machst du so ein Drama? Das ist doch nur eine Kleinigkeit!“
Die emotional reagierende Seite fühlt sich missverstanden und schnell verletzt. Die gelassenere Seite sieht im Gegenüber manchmal „unnötige Hysterie“.
Tipps für Führungskräfte
• Sensible Kommunikation: Ein rauer Tonfall oder harsche Bemerkungen treffen emotional instabile Personen hart. Achte auf konstruktive Wortwahl.
• Auffangen und beruhigen: Biete rationalen, aber einfühlsamen Rückhalt („Ich verstehe, dass dich das verunsichert. Lass uns gemeinsam schauen, was wir konkret tun können.“).
• Stressbewältigung im Team: Schaffe Strukturen (z. B. Pausenzeiten, klares Erwartungsmanagement), damit sich hoch neurotische Teammitglieder sicherer fühlen.
Fazit: Vielfalt nutzen und Konflikte schätzen
Die Betrachtung der Big-Five-Dimensionen zeigt, dass jede Persönlichkeitsausprägung – ob hoch oder niedrig – einen wertvollen Beitrag leisten kann. Offenheit bringt Innovation, Gewissenhaftigkeit sorgt für Struktur, Extraversion inspiriert durch Energie, Verträglichkeit fördert Harmonie, und Neurotizismus sensibilisiert für potenzielle Risiken. Ebenso haben niedrige Ausprägungen ihre Stärken, indem sie Stabilität, Flexibilität oder Pragmatismus in Situationen einbringen, die weniger Spezialisierung erfordern.
Das bedeutet: Es gibt keine „richtige“ oder „falsche“ Persönlichkeit. Jeder Mensch bringt einzigartige Eigenschaften mit, die in der richtigen Umgebung oder im passenden Team eine wertvolle Ergänzung darstellen können. Konflikte entstehen häufig dort, wo unterschiedliche Persönlichkeiten und Arbeitsweisen aufeinandertreffen – doch genau diese Vielfalt ist es, die Entwicklung und Wachstum ermöglicht.
Wenn du bis hierhin gelesen hast, sollte eines klar geworden sein: Konflikte sind kein Problem, sondern eine Chance. Sie zwingen uns, Perspektiven zu wechseln, Missverständnisse aufzuklären und neue Wege zu finden. Sie sind unverzichtbar für eine konstruktive Auseinandersetzung und das gegenseitige Verständnis. Vor allem zeigen sie, wo es in der Zusammenarbeit noch Entwicklungspotenzial gibt.
Deshalb lohnt es sich immer, die eigene Konfliktkompetenz im Auge zu behalten und gegebenenfalls auszubauen. Ob durch Reflexion, Feedback oder gezielte Trainings – je besser du dich selbst und andere verstehst, desto souveräner kannst du mit Spannungen umgehen. Konflikte sind nicht das Ende des Miteinanders, sondern oft der Anfang für etwas Besseres. Nutze sie als Chance, um nicht nur dein Team, sondern auch dich selbst weiterzuentwickeln.
Wenn du nun selbst einmal Lust hast, dein Profil zu sehen ist hier eine kostenloser Big-5-Text.